Der ZLV in den Medien

Der Anlass war der Eklat im Sekundarschulhaus Kalktarren in Schlieren. An diesem Beispiel erklärt ZLV-Präsidentin Lena Fleisch, mit welchen Problemen die Schulen heute zu kämpfen haben. Die beiden Interviews im Tele Top und im Tages-Anzeiger zum Nachschauen und Nachlesen.

Zum Interview in der News-Sendung von Tele Top vom 3. Dezember 2024 (ab 3:40 Minuten)

Das grosse Interview im Tages-Anzeiger von 9. Dezember 2024. Das Interview führte Daniel Schneebeli.

In Schlieren kam es an einer Schule zum Eklat, nachdem ein Vikar an einem Elternabend die Zustände in seiner Klasse angeprangert hatte. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das gelesen haben?

Ich fand erstaunlich, zu welch schwerwiegenden Problemen es kommen muss, bevor der Lehrpersonenmangel wahrgenommen wird. Wir wissen, dass viele Schulen Probleme haben, weil sie oft nur kurzfristige Übergangslösungen bieten können, wenn Lehrpersonen ausfallen. Dass da Unruhe entsteht, erstaunt mich nicht. Überrascht war ich, wie der Konflikt in Schlieren offenbar ausgebrochen ist.

Gleich mehrere Lehrpersonen sind dort gleichzeitig krankheitsbedingt ausgefallen. Ist das Zufall oder ein allgemeiner Trend?

Von einem Trend würde ich nicht reden. Lehrpersonen sind hohen Belastungen ausgesetzt und auch von Burn-out betroffen. Unsere Beratungsstelle beim Lehrerinnen- und Lehrerverband verzeichnet eine steigende Zahl von Anfragen.

Welches sind die grössten Belastungsfaktoren?

Ich habe keinen Einblick in die einzelnen Dossiers. Zusammenfassend kann ich aber sagen: Meist sind es Konflikte mit Schulleitungen, Kolleginnen und Kollegen, den Eltern oder auch mit Schülerinnen und Schülern, und die zeitliche Belastung ist enorm.

Warum steigt die Belastung? Es gibt ja auch mehr Hilfsangebote, etwa durch Klassenassistenzen – und so sehr verändert sich die Schule gegenwärtig nicht.

Das System verändert sich nicht gross, das stimmt. Dafür werden die Ansprüche immer grösser.

Wessen Ansprüche?

Die Bevölkerung ist sich nicht bewusst, was sie von der Volksschule alles erwartet. Lehrpersonen haben heute zwangsläufig mehr Erziehungsaufgaben, weil die Eltern mehr arbeiten. Viele intervenieren aber, wenn die Lehrperson klare Vorgaben macht und den Kindern Grenzen setzt. In diesem Spannungsfeld kann es eine Lehrperson eigentlich niemandem recht machen.

Macht das die Lehrpersonen krank?

Die einen schon. Viele werden in schwierigen Situationen alleingelassen. Aussenstehende können sich das vielleicht schwer vorstellen. Aber wenn eine Lehrerin die Verantwortung für 20 Kinder hat, den Unterricht gestalten und gleichzeitig auf alle Befindlichkeiten Rücksicht nehmen muss, ist das sehr intensiv. Kommt hinzu, dass sie über alle ihre Tätigkeiten Rechenschaft ablegen muss.

Sind junge Lehrerinnen und Lehrer weniger resilient als ihre älteren Kolleginnen?

Der Einstieg in den Lehrberuf ist nicht einfach, das gilt aber nicht nur für die Jungen, sondern auch für Ältere. Das kann ich gut beurteilen, da ich auch schon Quereinsteigende betreut habe, die bei mir ein Praktikum machten. Resilienz ist keine Frage des Alters.

Es häufen sich die Stimmen, zu viel Teilzeitarbeitende würden der Schule schaden. Was sagen Sie dazu?

Das ärgert mich. Wir müssen aufhören, die Schuld auf die Teilzeitarbeit abzuschieben. Ohne sie würde die Schule schon lange nicht mehr funktionieren. Streichen Sie alle Mamis aus den Stellenplänen, die neben ihrer Familienarbeit noch zwei oder drei Tage in der Schule arbeiten. Da bleiben nicht mehr viel übrig…

Das ist richtig, in der Stadt Zürich arbeiten rund zwei Drittel der Volksschullehrpersonen in Pensen unter 50 Prozent.

Teilzeitarbeit ist der entscheidende Faktor, dass sehr viele den Lehrberuf überhaupt machen können. Viele reduzieren ihre Pensen, weil es für sie nicht möglich ist, in einem vollen Pensum zu arbeiten – ob aus persönlichen oder aus familiären Gründen.

Aber Teilzeitarbeit bedeutet für die Kinder häufigere Wechsel der Lehrpersonen.

Oft ist das Gegenteil der Fall. Wenn nämlich eine der Teilzeitlehrerinnen krankheitsbedingt ausfällt, ist es oft unnötig, Vikarinnen einzustellen, weil die Stellenpartnerin die ganze Klasse übernehmen kann. Das hält das Klassengefüge stabil. Wenn voll arbeitende Lehrpersonen ausfallen, braucht es nach einigen Tagen zwingend eine Stellvertretung von aussen. Teilzeitarbeit bringt noch einen weiteren positiven Effekt. Wenn ein Kind nur eine Lehrperson hat und sich mit dieser schlecht versteht, ist es ziemlich verloren. In einem Lehrpersonenteam von zwei oder drei Personen findet das Kind eher eine Lehrperson, die zu ihm passt. Ein Durcheinander entsteht an den Schulen ganz sicher nicht, weil zu viele Lehrpersonen Teilzeit arbeiten.

Kann man eine tragfähige Beziehung zu einer Schulklasse aufbauen und Verantwortung für sie übernehmen, wenn man nur zwei Tage in der Woche da ist?

Absolut. Gut ist es dann, bei speziellen Aktivitäten wie etwa bei Ausflügen dabei zu sein.

In einer Schule mit vielen Teilzeitarbeitenden gibt es automatisch mehr Schnittstellen. Wie kann man da einen geregelten Schulbetrieb aufrechterhalten?

Es muss Anfang Schuljahr klar geregelt sein, wie die involvierten Lehrpersonen miteinander kommunizieren. Beobachtungen über Schülerinnen und Schüler und unsere Planungen halten wir schriftlich fest, und der digitale Austausch funktioniert meist gut.

Lehrpersonen müssen alle Kinder mit besonderen Bedürfnissen, insbesondere alle verhaltensauffälligen Kinder, in ihre Klassen integrieren. Wie viele solche Kinder verträgt es in einer Klasse?

Das ist schwierig zu sagen, weil eigentlich alle individuelle Bedürfnisse mitbringen. Die Klasse mit einem verhaltensauffälligen und 19 sogenannt normalen Kindern gibt es nicht. Jedes Kind hat mal einen schlechten Tag oder eine schlechte Phase.

Ist die Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen Kernauftrag in Ihrem Job oder eher eine unangenehme Nebenerscheinung?

Sie gehört zum Kernauftrag. Wir haben leise und laute Kinder, wir haben Kinder mit Leseschwächen und besonders talentierte Kinder. In unserer Gesellschaft gibt es fast keine Normalität mehr, weil wir durch und durch individualisieren. Das gilt auch in der Schule. Wir müssen aber über die Rahmenbedingungen sprechen, damit wir individualisieren können.

Eine Volksinitiative will wieder auf Separation setzen und das Problem mit der Wiedereinführung von Kleinklassen lösen. Ist das nötig?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Integration ist für viele Lehrpersonen eine Herausforderung, weil sie mit schwierigen Situationen oft allein sind. Der Ansatz der Initiative ist aber falsch, weil sie davon ausgeht, dass man ein Kind in eine Kleinklasse stecken kann und dann in der Regelklasse wieder Ruhe herrscht.

Also keine gute Idee?

Nein, gar nicht. Denn mit der Initiative würden die Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, die uns heute in unseren Klassen unterstützen, in die Kleinklassen abgezogen, und die Lehrpersonen wären mit dem Rest der Klasse erst recht allein. Die Idee ist sogar kontraproduktiv. Schon heute dürften Schulen Kleinklassen bilden. Aber nur die wenigsten tun es. Lieber werden Time-out-Lösungen oder Schulinseln gebildet, damit Kinder in akut schwierigen Phasen kurzfristig aus den Klassen genommen werden können. Es ist ein Witz, ein Kind ein halbes Jahr oder noch länger aus einer Klasse zu nehmen, um es anschliessend von neuem zu integrieren.

In Schlieren liegen die Nerven auch in der Schulleitung blank. Wenn man sich umhört, ist das nicht nur dort der Fall. Die Fluktuation in den Schulleitungen ist beträchtlich. Im Moment sind im Kanton 22 Stellen für Schulleitende ausgeschrieben. Warum sind viele Schulleitende überfordert?

Da müssten sie die Schulleitungen fragen.

Ich frage aber Sie.

Aus meiner Warte ist ihr Aufgabengebiet in den letzten Jahren stark gewachsen, bei mehr oder weniger gleichbleibenden Pensen. Eine Schulleitung führt bis zu 70 Personen. In Managementkursen werden Einheiten von 6 bis 8 Personen pro Führungsperson empfohlen. Und Personalführung ist nicht die einzige Aufgabe einer Schulleiterin. Sie muss sich mit der Schulpflege absprechen und mit Eltern telefonieren. So ist es sehr schwierig, den Job zufriedenstellend zu erledigen.

Welche Massnahmen wären aus Ihrer Sicht nötig, um Schulen zu stabilisieren?

Wenn es eine Instant-Lösung gäbe, hätte sie schon jemand gefunden. Das Hauptproblem ist, dass wir zu wenig Lehrpersonen haben. Wir müssen Lehrpersonen endlich genügend Zeit für ihre Kernaufgabe, den Unterricht, geben. Sonst verlieren wir auch jene, die wir noch haben. Zudem sollte man die Klassenlehrpersonen besser unterstützen. Sie sind die Hauptbezugspersonen der Kinder, sie koordinieren den Schulalltag, bei ihnen laufen alle Fäden zusammen. Kurz gesagt: Sie sind der Fels in der Brandung.

Wenn Sie bei einer guten Fee einen Wunsch an Bildungsdirektorin Silvia Steiner frei hätten, was würden Sie sich von ihr wünschen?

Ich wünschte mir, dass sie die Anliegen der Lehrpersonen wirklich ernst nimmt und entsprechend handelt.

Datum

10.12.2024